Stimmen von Zeitgenossen
Ingeborg Ruthe | Berliner Zeitung, Feuilleton, 10.02.2005
Da zeigt er die vor 1989 entstandenen Tafeln und die neuen. Und da steht uns eine so ganz andere Art der "Neuen Leipziger Schule" vor Augen. Es ist nicht die neoromantische bis neosurreale Variante der realistischen Themen frei nach Fotos und in planer, kühler Farbigkeit. Gehse bekennt bei jedem Farbschlag, wer sein Lehrmeister für dieses Beschäftigen etwa mit den sieben Todsünden der Kleinbürger gewesen ist. Hier werden, ganz wie beim alten Heisig, die Farben noch auf die Leinwand geschleudert, hochgekocht zu Wogen, runtergekratzt, wieder aufgetürmt zu brodelnden Massen. "Den Augen ein Fest" würde es bei Delacroix heißen. Zudem hat Gehse nie aufgehört, vor dem Modell zu malen. Seine "Nachwende" Bilder explodieren förmlich vor Selbstreflexion, vor Wahrnehmungs- und Erkenntnissucht. Es ist eine Malerei der wilden, großen Gesten, der hochdramatischen und abermals allegorischen Sujets. Sein Erfolg wird nur noch von dem seines Leipziger Kollegen Neo Rauch übertroffen.
Prof. Dr. Christoph Stölzl
(Senator a. D., Vizepräsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Auszug aus der Rede in der Neuen Nationalgalerie Berlin, 22.10.2003, Katalogbuch)
Da ist auf der Seite des Malers nichts zu spüren von der Scheu, die viele Künstler vor dem ganz Anderen der großen Politik haben und die sich dann als Filter derWahrnehmung zwischen sie und ihr Modell schiebt. Da ist nicht einmal die wohlbekannte Ratlosigkeit der Zeitgenossen vor der ganz buchstäblich zu nehmenden Sprengung des Rahmens durch die physische Erscheinung Helmut Kohls. Was Gehse zuerst gesehen und dann gemalt hat, ist die Gestalt Kohls in der europäischen Geschichte. Was ist das für ein Bild, das Albrecht Gehse von Helmut Kohl gemalt hat? Es springt einen an, es stört und verstört, es tritt uns nahe und zu nahe. Wenn es inder deutschen Öffentlichkeit noch Sinn gibt für die Unterscheidung zwischen dem Bedeutenden und dem Belanglosen, dann wird dieses Porträt für Unruhe sorgen. Es ist nicht gleichgültig, wie unsere Kanzler in den Medien aussehen, zu denen eben auch ein so archaisches Medium wie das Tafelbild gehört.
Dr. Bärbel Mann
(Autorin und Kunsthistorikerin, Auszug aus dem Katalogbuch 'Das Gemälde Helmut Kohl von Albrecht Gehse)
Albrecht Gehse ist ein Maler von mitreißender Besessenheit, der sein Leben in Bildern festhält Diese sind seine Form des Tagebuchs, in dem des Private fixiert und im Zeitraffer noch einmal durchlebt wird, oder in dem er intuitiv Szenen entwirft, die er im Nachhinein durch das Geschehene bestätigt sieht. in diesen künstlerischen Geburten, in denen Bauch und Kopf, Verstand und Gefühl miteinander wetteifern, drückt er sich selbst aus und fällt zugleich sein Urteil über die Weit. Wer in seinem Atelier die Pinnwand mit Dutzenden von Skizzenblättern studiert, erkennt darin unschwer die Dramaturgie seiner Bilder, respektive den Arbeitsplan für die nächsten Wochen und Monate. Um in der Funktionsbesetzung des Theaters zu bleiben: Gehse ist Dramaturg, Regisseur und Schauspieler in einem - in letztgenannter Funktion behält er sich die Position des teilnehmenden Beobachters vor. Er versteht sich nicht als Verkünder, Ratgeber oder Moralist. Sein Umgang mit der Wirklichkeit ist der eines neugierig gebliebenen Endeckers, eines - im besten Wortsinn - näiv gebliebenen Mannes, der mit wachem Interesse und kindhaftem Vergnügen am dramatischen und komödiantischen Lebensspiel teilnimmt und selbst Teil davon ist. Wer Albrecht Gehse erlebt, folgt ihm auf seiner Welterkundung, so lange es Gelegenheit und Kondition zulassen Das Leben primär als Abenteuer zu begreifen ist eine mentale Voraussetzung für Gehses sinnenpralle Malerei. Lebenshunger und Visionen entladen sich in Farbekstasen und Formenwirbeln, mit denen es ihm gelingt, in den Alltagsverläufen das Besondere zu zelebrieren. Ob beabsichtigt oder unfreiwillig, Albrecht Gehseist ein malender Philosoph, in seiner Geschichte, bestehend aus vielen Geschichten, überwiegen die Fragen die Antworten. Nicht alles ist erklärbar. Vielleicht ist es neben der überzeugenden künstlerischen Professionalität gerade jenes Maß an Unschuld und Respektlosigkeit, das einen Teil seines Erfolg ausmacht(...) inmitten all der Welterklärer.
Christoph Tannert
(Austellungsmacher, Kunstkritiker, Geschäftsführer des Künstlerhauses Bethanien, Auszug aus der Rede in der Neuen Nationalgalerie Berlin, 22.10.2003, Katalogbuch)
Ungläubig steht man vor den frühen Bildnissen, gefesselt von der Intensität des Farbklangs, der sagen will, wie gut ein Leben im Dennoch sein kann. Der Unglaube erwächst aus dem Gefühl, ihnen nicht besonders nahe zu sein, denn diese Gesichter kommen von hinter der Zeitmauer, und doch will man an jedem Pinselstrich teilhaben, um die darin enthaltenen Wirklichkeitspartikel zu übersetzen. Albrecht Gehse malte diese Bilder in der aufregenden und doch bleiernen Atmosphäre jener Zeit, in der Tausende wegen des gesellschaftlichen Stillstands die DDR verließen, wissend, dass seine Solidarität mit den Dargestellten das denkbar schwächste Korrektiv darstellte zu einem System der Warteschleifen und der institutionalisierten Lüge. Als Albrecht Gehse 1983 zusammen mit Wolfram Adalbert Scheffler, Hans. J. Schulze und Trak Wendisch in der Ost-Berliner Galerie Sophienstraße 8 ausstellte, erlebte das Publikum zum ersten und letzten Mal dieses an Ekel grenzende Zögern, das die skandalös intensiven Bilder der Ausstellenden ausmachte ( bei aller stilistischen Verschiedenheit!) und den sozialistischen Kunstrichtern das Blut in den Adern kochen ließ. Das war das vibrierende Umfeld, aus dem Albrecht Gehse kam, bei dem man sich freilich klarmachen musste, dass es sich bildete im Aufeinandertreffen mehrerer in sich geschlossener und einander ausschließender Universen, die sich voneinander abstießen wie die Plus-oder Minuspole zweier Magneten. Schon früh wurden Gehses lebenszugewandter Stil und seine Leidenschaft für soziale Spurenelemente gelobt. Seine Bildintelligenz, mit der er eine Vielzahl von Figuren in monumentale Formate staffelt, verrät Ehrgeiz. Die Gewandtheit, mit der er aus der stattlichen Mitgift der Leipziger Akademie ein unverwechselbares Bildprogramm formte, forderte seine konkurrierenden ehemaligen Studienkollegen explizit heraus. Doch Gehse steht auf festem Fundament, wenn er über sich hinauswächst zum Retter verlorener Paradiese. Dabei ist es weit mehr als der handwerkliche Schliff, gerade die Unmittelbarkeit, deretwegen Gehses Bilder kategorienfrei verehrt werden.
Bernhard Heisig
Albrecht Gehse studierte bei mir an der Leipziger Kunsthochschule. Er zeigte eine unbekümmerte, von modischen Einflüssen, weitgehend freie Malerei. So gelingen ihm überraschende Ergebnisse.
Werner Tübke
Große Menschenbilder, Anerkennung für den Kanzler, glockenschwerer Andachtston über dem Bild.
Prof. Dr. Hans Wielens
(Vorstandsvorsitzender i.R., Deutsche Bank Bauspar AG in Frankfurt a.M. Gründer und Leiter der StiftungAuthentischFühren - Zen -Akademie fürFührungskräfte)
Gehört hatte ich schon von einem jungen, ungestürmen und begabten Maler in Leipzig, als ich im Jahre 1990 während der Messe einige Künstler-Ateliers besuchte. Doch schon die ersten Bilder im Atelier von Albrecht Gehse sprangen mir ins Auge und nahmen mich gefangen. Besonders das Großgemälde 'Atlantis' erschien mir wie die Metamorphose der DDR ins Ungewisse und Offene. Sollten die gewaltigen Wassermassen die Marktwirtschaft darstellen? Die Kirche - in der Gestalt eines Pfarrers - beobachtend, in gewisser Weise hilflos, die Augen in endlose Ferne gerichtet. Eine Macht- und Macher-Gestalt, brutal und verschlagen, das rettende Ufer suchend. Einzig das weibliche Element im Bild scheint fähig zu sein, sich der neuen Urkraft spielerisch anzupassen, scheint Hoffnung und Zukunft zu vermitteln. Ein kraftvolles Bild, begonnen 1988, fertiggestellt 1989. Eine Ahnung und allegorische Darstellung des eigentlich unerwarteten Zusammenbruchs? Albrecht Gehse ist ein Maler, dessen Werke man nicht vergessen kann. Sie brennen sich ein in das Gedächtnis. Er ist ein Künstler, der - wie es scheint - über unendliche Kraft und Begeisterungsfähigkeit verfügt. Wie alle kraftstrotzenden Menschen führt ihn das gelegentlich auf Abwege, die sich krisenhaft zuspitzen können, die jedoch bisher die künstlerische Qualität seiner Arbeit letztlich nicht beeinträchtigten sondern gestärkt haben. Albrecht Gehse geht seinen eigenenWeg, wenn auch Bernhard Heisig als Lehrer eine prägende Spur bei ihm hinterlassen hat. Gehse kann Beziehungen halten und zu Freundschaften entwickeln, das macht ihn auch als Mensch sympathisch und glaubwürdig.
Ulrich Pfaffelhuber
(VAF Pfaffelhuber GmbH)
Es war Liebe auf den ersten Blick, als ich vor zwei Jahren im Capital Club Berlin Albrecht Gehses 'Gendarmenmarkt' sah und erwarb. Das Bild führte mich zu dem Maler und ich erschloss mir weitere Bilder, insbesondere seine Porträts. Lange musste ich mit Albrecht Gehse ringen, ehe er mir das Gemälde 'Spiel des Lebens'(Indianer) überließ. Es sind keine schönen Bilder, aber aufregend, indem sie nicht nur die Tagseiten, sondern auch die Nachtseiten des Lebens wiedergeben. Die Mischung aus Realität und der Vision was kommt, ist wohl das Überraschende und immer wieder Anziehende, was mich bewegte, systematisch Albrecht Gehse zu sammeln. Aus der Liebe zu den Bildern ist Freundschaft mit dem Künstler geworden. Ich freue mich über die Gelegenheit, das hier zu bekennen.
Karoline Müller
Erfahrungen als Galeristin (aus dem Katalog 'Menschenbildniss in der Diskussion', Kleinsassen 1990)
Auf dem Bild ist der Leipziger Künstler mit seinem damaligen Mitstudenten-Freund an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst Hans Schulze zu sehen. Schulze ist Konzeptkünstler. Seine Diplom-Arbeit (das ist die künstlerischeAbschlußarbeit an der Hochschule in Leipzig) über: Kunst als Produktivkraft, er gestaltete Wände und Räume der Hochschule über zwei Stockwerke mit Assemblagen aus Fundstücken, Folien, Spiegeln und machte auch Gesprächsaufzeichnungenzum Inhalt, wurde von den Professoren "nicht bewertet". Schulze lebt seit drei Jahren in Westberlin,"besetzte" vor einem halben Jahr einen Grenz-Wachturm am Berliner Reichstag, an dem er künstlerische Trauerarbeit leistete. Schulzes Arbeit wurde auch im Westen "nicht bewertet", als wirkliche Vorhut bleibt er unbeachtet. Es seien die Fahrten vom Lahmen und dem Blinden gewesen, in der Morgenstimmung und in der Abendstimmung, als Reiter der Straße", sagt Gehse. In den Jahren 1980-81 fuhren Gehse und Schulze mit einem Laster W 50 vier Tonnen Gemüse aus. Sie sagen: "Wir konnten mit allen sprechen, die Gesellschaft von oben und von unten sehen! Gehse bestellte Schulze zu den Sitzungen im gelben Hemd. Schulze sagt, gelb sind die Gedanken. Vom Modell verlangte der Maler, daß es stundenlang die Augen aufreißt. Im Lastwagen diskutierten sie über das Wesen der Maschine, das Wesen von Gewehren, über politische Ästhetik, immer wieder über Kunst als Produktivkraft, und daß der Realismus nicht nur das Sichtbare, sondern auch das Unsichtbare ist. Sie sprachen über "allgemein menschliche Werte, und wie man eine Ordnung aufrecht hält". Gehse sagt: "Losfahren, forttigern, abhauen, durchfahren." 1982 auf der 9. Kunstausstellung in Dresden kam das Bild auf Platz drei der Fragebogen, die für das Publikum zur Verfügung standen. Im Trubel des Einigungsvertrages kaufte Gehse das Bild vom Eigentümer: "Landwirtschaftsausstellung der DDR, Ständiges Neuererzentrum, Träger des Vaterländischen Verdienstordens in Gold und des Ordens Banner der Arbeit, Markkleeberg," zurück. Als der Künstler sein Bild dort, nach dem Fall der Mauer, aus dem Keller abholte, mit Spuren von Rattenfraß und Löschflecken der Feuerwehr, sagte einer: "Endlich kommt das schiefe Ding weg!"